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Soundscape Stammheim
(2010)
Die Rote Armee Fraktion (RAF) markiert nicht nur in visueller, sondern auch in akustischer Hinsicht ein herausragendes Phänomen der westdeutschen Nachkriegsgeschichte. So war eine der ersten Stellungnahmen, die nach der Befreiung Andreas Baaders im Mai 1970 veröffentlicht wurde, eine Tonbandaufzeichnung Ulrike Meinhofs. Die Journalistin Michèle Ray hatte sie nach Abschluss ihres Interviews dem „Spiegel“ überlassen. Damit konnten die Aussagen Meinhofs zum Aufbau der Roten Armee nicht nur als Text, sondern auch als Ton der Nachwelt erhalten bleiben.
Wie kann man soziale Ungleichheit in einer Gesellschaft erforschen, die sich durch immer weitergehende soziale Gleichheit auszeichnen will? Wie kann man in einer Gesellschaft, der politisch ein spezifischer Blick auf sich selber verordnet ist, soziologisch informierte Kategorien einbringen, die gleichzeitig dem Anspruch genügen, praktisch zur Weiterentwicklung der Gesellschaft beizutragen? Diesem Fragenkomplex sind die folgenden Überlegungen gewidmet. Sie fragen also nach einem spezifischen Typ der Repräsentation sozialer Ordnungen unter den besonderen politischen Bedingungen einer sozialistischen Diktatur. Damit ändern sich einige der Bedingungen, unter denen sozialwissenschaftliche Beschreibungen Wahrheitsansprüche erheben können: Sie liefern Bilder von einer Gesellschaft, die sich einerseits in der Bestätigung durch andere sozialwissenschaftliche Beschreibungen erweisen müssen. Andererseits müssen sie sich auch immer in den Augen der Untersuchten selbst bewähren.
Was ist soziale Ungleichheit und welche Erklärungen gibt es dafür? Das ist das zentrale - in Öffentlichkeit, Medien und im Privaten immer wieder heiß diskutierte - Thema dieses Readers. Es berührt Fragen wie: Warum verdienen Manager deutlich mehr als die Beschäftigten des Unternehmens? Warum benötigt man als Ingenieur einen Hochschulabschluss? Warum gibt es so wenige Frauen in Führungspositionen? Und warum gehen Kinder aus Akademikerfamilien eher auf das Gymnasium und die Hochschule als Kinder aus Arbeiterfamilien? Fürall diese Fragen scheint es im Alltag schnelle Antworten zu geben: Manager haben eine höhere Verantwortung für das Unternehmen als die Beschäftigten. Ingenieure müssen sich als Grundlage ihrer Berufstätigkeit zahlreiche Kompetenzen auf einer Hochschule aneignen. Frauen wollen wegen ihrer Kinder nicht in Führungsposition. Oder Kinder aus Akademikerfamilien wissen mehr und erhalten deshalb bessere Noten als Arbeiterkinder. Diese Antworten scheinen plausibel - und sie können für Einzelpersonen auch durchaus richtig sein. Dennoch greifen sie viel zu kurz: Sind es Antworten, die für alle oder die meisten Angehörigen der jeweiligen sozialen Gruppe, also regelhaft zutreffen? Was ist mit verantwortungslosen Managern, hoch
kompetenten Do-it-yourself-»Ingenieuren«, kinderlosen Frauen oder Akademikerkindern, die andere Stärken haben als wissenschaftliche?
Der Vielgestaltigkeit des Phänomens und Problems Migration entspricht die Vielseitigkeit der Forschungsbemühungen um die Beschreibung, Interpretation und Erklärung seiner Ursachen und Erscheinungsformen, seiner Entwicklungsbedingungen, Begleitumstände und Folgeerscheinungen: Migrationsforschung wird von den verschiedensten Disziplinen betrieben. Das Spektrum reicht, um alphabetisch nur einige Beispiele zu nennen, von Anthropologie, Demographie, Geographie und Geschichte über Ökonomie und Politologie, Psychologie und Rechtswissenschaften bis hin zu Soziologie und Volkskunde. Daneben stehen, mit jeweils mehr oder minder weitreichenden interdisziplinären Ansätzen, die verschiedensten Teil- bzw. Subdisziplinen und Forschungsrichtungen, die sich mit besonderen Aspekten des Phänomens und Problems Migration beschäftigen.
Als Umbruchgeschichte verstandene Sprachgeschichtsschreibung ist weder theoretisch noch empirisch ein entwickelter Untersuchungsbereich, zumal fehlen Kategorien, die Sprachumbruch und Sprachwandel voneinander abgrenzen und zueinander in Beziehung setzen. Der Beitrag wirbt für ,Umbruch‘ als eine Perspektive der Sprach(gebrauchs)geschichte des 20. Jahrhunderts. Sprachliche Umbruchgeschichte, deren Erkenntnisziel auf die initialen Momente sprachlicher Veränderung gerichtet ist, steht in der Tradition der kulturwissenschaftlichen Linguistik. Sie stellt die Frage nach den sprachlichen Auswirkungen plötzlicher und umfassender gesellschaftlicher Veränderungen, vice versa: Sie bindet diese Veränderungen an sprachliche Verschiebungen. Damit ist sie eingelassen in handlungs- und kommunikationstheoretische Paradigmen der pragmatischen Sprachgeschichte. Im Zentrum des hier vorzustellenden Forschungskonzepts einer sprachlichen Umbruchgeschichte steht methodisch der diskursanalytische Ansatz, der nicht nur erklären kann, wie die gesellschaftliche Verfasstheit und sprachliche Verschiebungen zusammenhängen, sondern auch, wann sich solche Verschiebungen diskursiv manifestieren – diese Frage ist essentiell im umbruchgeschichtlichen Kontext. Dieser Ansatz wird im Sinn von analytischen Leitideen ausbuchstabiert. Den Schluss bildet die tentative Verdichtung der Überlegungen zu einem Modell eines sprachlichen Umbruchs.
Mit dem Ende des Ersten Weltkrieges war der Abschied von einem bedingungslosen Fortschrittsglauben gekommen. Die Erfahrungen des Stellungskrieges und der Materialschlacht munitionierten die Fortschrittskritik. Die universitäre Etablierung des Fachs Volkskunde im Jahr 1919 war seit den letzten beiden Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts durch wissenschaftliche Zeitschriften, Kongresse und museale Sammlungen vorbereitet und von der »Suche nach dem Elementaren in der Kultur« begleitet worden. Die Hinwendung zu den Dingen, vor allem zu Arbeits- und Hausgerät aus europäischen Reliktgebieten, spielte in diesem Prozess eine wichtige Rolle. Die Frage nach ihrer Bedeutung und Sinnaufladung verdichtete sich mit der Disziplinierung, auch wenn die Erforschung der materiellen Kultur nicht der einzige Gegenstand des Faches war, das sich aus den Philologien herausbildete. Geht man davon aus, dass das 19. Jahrhundert das »Saeculum der Dinge« ist, weil die industrielle Massenproduktion die Verfügbarkeit sowie den Verbrauch der Dinge seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts immens steigerte, dann führt der Weg zu der intensivierten Aufmerksamkeit für die Dinge des Alltags in Kunst, Literatur und Wissenschaft in die ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts.
Strategien der Sicherung: Welten der Sicherheit und Kulturen des Risikos. Theoretische Perspektiven
(2010)
Auch wenn Sicherheit und Risiko auf den ersten Blick gegensätzliche Dispositionen bezeichnen, haben sie doch einen gemeinsamen Ursprung: die Begrenzung oder Vermeidung von Gefahr und die Abwehr von Bedrohung, bei der sie konkurrierende, mitunter aber auch komplementäre Wege gehen. Das Unverfügbare, das nicht Vorhersehbare, das mit Übermächtigung Drohende wird bearbeitet – im einen Fall unter dem Imperativ der Herstellung von Sicherheit bzw. der Entwicklung von Strategien, die gegen den Einbruch von Gefahren und das Auftauchen von Bedrohungen absichern, diese ›draußen‹ halten und so Räume schaffen, die sich von ihrer Umgebung durch ein deutlich höheres Sicherheitsniveau unterscheiden; im anderen Fall durch die Entwicklung von Arrangements, die Gefahr und Bedrohung berechen- und kalkulierbar machen.
Im Jahr 1983 gewährte die Heilig-Kreuz-Gemeinde im Berliner Bezirk Kreuzberg mehreren palästinensischen Geflüchteten Kirchenasyl, um deren Abschiebung zu verhindern. Diesem Beispiel folgten bald weitere Westberliner Gemeinden beider Konfessionen, und bis 1988 schlossen sich insgesamt 35 Kirchen in der Initiative »Asyl in der Kirche« zusammen. Auf diesem Weg versuchten sie, vor allem »De-Facto-Flüchtlinge« vor der Abschiebung in den Libanon zu bewahren. Dies waren die ersten Fälle von Kirchenasyl in der Bundesrepublik bzw. Westberlin. Sie lieferten den Auftakt für die Entstehung der selbsternannten ökumenischen »Kirchenasylbewegung«. Dieser Zusammenschluss aus sowohl evangelischen als auch katholischen Gemeinden stellt einen signifikanten Akteur in der Migrationspolitik seit den 1980er Jahren dar und orientierte sich an internationalen Vorbildern aus den USA, den Niederlanden und der Schweiz.
Sozialhistoriker haben sich traditionell schwer damit getan, die spezifische Form und Relevanz der Religion in der modernen Gesellschaft zu verstehen. Das lag nicht nur, wie oft unterstellt wird, an der unhinterfragten Gültigkeit eines weit verstandenen Säkularisierungskonzepts, das Religion als etwas Vormodernes per se aus der historischen Analyse der Zeit nach 1800 ausschloss. Es lag auch und zumal an der komplizierten disziplinären Lage der Religionsgeschichte, die lange zwischen einer konfessionell gebundenen und methodisch konventionellen Kirchengeschichte, einigen mit weitem Blick historisch arbeitenden Theologen sowie den Vertretern der ›säkularen‹ Sozialgeschichte eingezwängt war.