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Über Ski, Boote und Autos
(2024)
Auf acht Fotos im Album der Familie Lindenberger fahren die Fotografierten Ski, Schlittschuh oder Schlitten. Auf zwei Bildern sitzen sie auf einer Kutsche und dreimal in einem Boot. Einmal zeigen sie sich mit einem Pferd, zweimal mit einem Fahrrad sowie zehnmal mit einem Auto. Auf 26 der insgesamt 95 Abzüge posieren die Fotografierten mit Fortbewegungsmitteln oder bewegen sich selbst mit ihnen fort.
Was macht ein Foto privat oder öffentlich? Laut Fachliteratur ist dies abhängig vom Kontext: der Entstehung und Verwendung des Bildes. Entscheidend für die Bestimmung sind demnach der Fotograf, das Motiv, die Absicht des Fotografen sowie die Intentionen der abgebildeten Personen und nicht zuletzt der nachfolgende Gebrauch der Fotografie.
Joseph und Helene am 1. Mai?
(2024)
Auf dem vorliegenden Bild posiert Joseph vor einem Lastwagen. Helene schaut zusammen mit einem Kind aus der Fahrerkabine in die Kamera. Auf der Ladefläche stehen weitere Kinder sowie eine abgeschnittene größere Person. Die Abgebildeten tragen weiße Hemden und einige der Kinder auch weiße Hüte – sie wirken aufgeregt. Mindestens zwei der Kinder halten kleine einfarbige Fahnen in ihren Händen.
Michael Lindenberger, der das Fotoalbum seiner Großeltern dem Jüdischen Museum Berlin stiftete, sprach im Interview über seine bewegte Familiengeschichte, den Nachlass seiner Eltern und seinen Wunsch, die Erinnerungen zu bewahren. Das Fotoalbum der Familie Lindenberger stammt aus dem Jüdischen Museum Berlin, wo es zwar teilweise erfasst, aber noch nicht vollständig erschlossen oder der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden ist. Aus diesem Grund wurde es für das Projekt ausgewählt.
Die Volksrepublik China, die Mongolei, Nordkorea und Japan – vier von insgesamt vierzehn direkten Nachbarn Russlands sind ostasiatische Staaten. Im Allgemeinen wird Russland als geografisches, politisches und kulturelles Bindeglied zwischen Asien und Europa verstanden. Allerdings wird Russland in Ostasien und „in Japan nicht primär als europäische, sondern als asiatische Macht wahrgenommen.“ Aus Japans Sicht führt die asiatische Großmacht Russland unter Missachtung territorialer Grenzen einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Ukraine mit Auswirkungen auf Japans politische Agenda.
24. Februar 2022: "Die Wirklichkeit ist angekommen …" Von der Arbeit an der Lücke. Ein Vorwort
(2024)
"Die Wirklichkeit ist angekommen", sagte Karl Schlögel am 27. Februar 2022 in der sonntäglichen Gesprächsrunde bei Anne Will. Die Zeit sei vorbei, dass man uns Märchen erzählt. Gemeint war damit der unglaubliche »Russland- und Putin-Kitsch«, den Politiker:innen wie Sahra Wagenknecht, Gerhard Schröder oder Gregor Gysi bis heute verbreiten. Noch fünf Tage vor dem Beginn der Großinvasion am 24. Februar 2022 erklärte Schlögel, dieser exzellente und stets auf Verständigung bedachte Osteuropa-Historiker, auf den Angriffskrieg nicht gefasst gewesen zu sein.
Szenen aus einem Werbeclip sind mit der russischen Invasion Realität geworden: Taxifahrer und Geologiestudenten, Väter und Söhne, Programmierer und Vorarbeiter, Fußballfans und Nachbarn verteidigen mit Waffen ihre Heimat, wo russische Bomben Wohngebiete, Krankenhäuser, Kirchen und Museen treffen. Für Gesellschaften jenseits der Ostgrenze der EU ist es atemberaubend solche Taten anzusehen. Zugleich bemühen sich hier viele, Hilfe zu leisten durch Geld- und Sachspenden, Hilfsdienste an Bahnhöfen und Angebote für die Aufnahme des größten Flüchtlingsstroms, den Europa seit 1945 gesehen hat. Auch die Wissenschaft ist nicht untätig geblieben.
Zugleich hat dies alles historische Dimensionen. Dementsprechend haben Historiker:innen in der Ukraine ein Soundarchiv gegründet, um die Auswirkungen des Krieges in Podcasts zu dokumentieren. Hier spielt das renommierte Center for Urban History in Lwiw eine zentrale Rolle; es sammelt zugleich private Aufnahmen vom Kriegsalltag für sein Urban Media Archive. Und es hat ein Oral History Projekt gestartet, um die Erfahrungen der ersten Kriegstage weiter zu dokumentieren. Aber auch in Kiew und anderen Städten scannen Archivar:innen fieberhaft die Bestände – Bomben- und Granatangriffen zum Trotz.
Dabei ist nicht zu vergessen, dass all diese Menschen nicht nur Kämpfer:innen und Geflüchtete sind. In ihren Heimatstädten stehen Lebensräume, Erinnerungsorte und Gedächtnisspeicher unter Beschuss, die ihr Leben geprägt haben. Sie bei der Bewahrung und dem (Wieder-)Aufbau dieser Speicher zu unterstützen, ist die Kernaufgabe einer europäischen Geschichtswissenschaft.
"Was will Putin?", wurde in den letzten Wochen gerätselt. Eher sollte gefragt werden, was will der Westen tun, um die Pläne des russischen Präsidenten zu verhindern. Dessen Pläne sind umfassend und unmissverständlich deutlich in den beiden im Dezember veröffentlichten Schreiben an die NATO und an die Regierung der USA formuliert worden. Die hektischen diplomatischen Bemühungen seit Dezember 2021 konnten kaum Ergebnisse bringen, weil die absolute Setzung des russischen Standpunktes keinen Raum für Verhandlungen bot. Insofern sieht im Nachhinein alles, was passiert ist, nach einem minutiös geplanten Szenario aus, das punktgenau mit der Rückkehr der russischen Olympioniken und der anschließenden Rede Putins an die Nation am 21. Februar 2022 seinen ersten Abschluss fand. Diese Rede hatte zwei Funktionen: innenpolitisch bediente sie das Bedürfnis nach nationaler Größe und einem starken, weisen Führer, außenpolitisch lieferte sie krude Argumente für die Verschleierung der Expansionsgelüste Putins und seiner brutalen und menschenverachtenden Machtpolitik.
Die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg ist im Krieg in der Ukraine allgegenwärtig. Die alten Menschen, die oft nicht mehr fliehen wollen oder können, erinnern sich an ihre Kindheit im Krieg. Sie erinnern sich an die deutsche Besatzung, an die Zerstörung ihrer Städte, an den mühsamen Wiederaufbau und an die Hoffnungen, die sie in die neue Staatlichkeit setzten.
Eine tragische Wiederholung ist auch das Schicksal der Kulturgüter. Vieles wurde während des Zweiten Weltkriegs zerstört, verbrannt oder verschleppt. Noch immer vermissen ukrainische Museen und Bibliotheken große Teile ihrer Sammlungen. Gerade erst konnten Verlustkataloge abgeschlossen werden. Einige wenige Rückgaben von Kunstwerken, Büchern und Dokumenten gab es in den letzten Jahren, aber solche Fälle sind die Ausnahme. Nun droht erneut die Gefahr, dass einzigartiges Kulturerbe zerstört und damit ein Teil der ukrainischen Identität ausgelöscht wird.