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Betriebsamkeit der Hilfe – Länge des Wartens. Zur Temporalität in den Lagern der Gegenwart

  • Bilder von Flüchtlingslagern rufen in der Regel emotionale Reaktionen, ja Bestürzung über die enormen Ausmaße dieser prekären Einrichtungen hervor. Manchmal führen sie gar zur Frage, ob und wie diese Orte überhaupt existieren können. Bei der Betrachtung von Fotos und der gesamten Bildwelt der Flüchtlingslager stellen sich spontan Assoziationen ein: materielle Not, eine offensichtlich nur provisorische Organisation der Räume, schwach ausgeprägte Spuren, die das Lager als Form von der natürlichen Umgebung und dem Boden kaum abheben. All dies vermittelt den Eindruck, dass morgen bereits verschwunden sein könnte, was uns heute vor Augen steht. Wir werden von einem Gefühl der Unwirklichkeit ergriffen, das mit der europäischen Geschichte verknüpft ist, mit den in Europa vorherrschenden Normen der Raumorganisation und den Lebensweisen des Westens. Dieses Gefühl legt eine bestimmte Einordnung nahe. Es mischt sich mit einer von den Themen Ausnahmezustand und Thanatopolitik geprägten Vorstellung des Lagers. Manche Sozialwissenschaftler/innen, Journalist/innen und Fotograf/innen haben sich von dieser stark vereinfachenden Repräsentation täuschen lassen und die Lager der Gegenwart vor dem Hintergrund der Shoah betrachtet. Global gesehen, ist die Wirklichkeit der Lager des 21. Jahrhunderts jedoch wesentlich komplexer und ambivalenter. Einerseits muss das Modell der Ausnahme relativiert werden durch die sowohl globale als auch lokale Kontextualisierung der Lager – selbst wenn sich die für die Sicherheit verantwortlichen oder humanitären Mächte gern von diesem Modell inspirieren lassen. Andererseits prallen im Alltag der Flüchtlingslager zwei unterschiedliche Zeitregime aufeinander, ereignet sich gleichsam ein Schock zwischen der Langsamkeit des Alltags der Ein-Gelagerten (encampés) und der von der humanitären Dringlichkeit bzw. der Brutalität der Sicherheitseinsätze verursachten Hektik und Betriebsamkeit (urgentisme). Aus diesem Grund sind Spannung und Ungewissheit stets Teil des Handelns, der Sinnzuschreibung solcher Orte und ihrer Zukunft.

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Verfasserangaben:Michel AgierGND
URL:https://www.zeithistorische-forschungen.de/3-2018/id=5617
DOI:https://doi.org/10.14765/zzf.dok.4.1294
Titel des übergeordneten Werkes (Deutsch):Zeithistorische Forschungen - Studies in Contemporary History
Verlag:ZZF – Centre for Contemporary History: Zeithistorische Forschungen
Verlagsort:Potsdam
Dokumentart:Wissenschaftlicher Artikel (Zeitschrift)
Sprache:Deutsch
Datum der Veröffentlichung (online):03.12.2018
Datum der Erstveröffentlichung:03.12.2018
Datum der Freischaltung:07.12.2018
Jahrgang:15
Ausgabe / Heft:3
Erste Seite:498
Letzte Seite:508
ZZF-Zeitklassifikation:2000er
1945-
1990er
2010er
21. Jahrhundert
ZZF-Themenklassifikation:Soziales
Politik
Raum
Transnationale Geschichte
Flucht und Vertreibung
Internationale Organisationen
Zeit
ZZF-Regionalklassifikation:regional übergreifend
Europa / Westeuropa / Frankreich
Online-Portale:Zeithistorische Forschungen
Zeithistorische Forschungen: Originalbeiträge:3 / 2018 Flucht als Handlungszusammenhang
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