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Der Begriff der „Erinnerungsorte” (lieux de mémoire) wurde in den 1980er-Jahren von dem französischen Historiker Pierre Nora geprägt. Er bezeichnet ein spezifisches Forschungsparadigma, das symbolische Repräsentationen meint, die – so nehmen Forscherinnen und Forscher an – in bestimmten Gedächtnis- und Identitätsdiskursen eine signifikante Rolle spielen. Cornelia Siebeck stellt diese Forschungsperspektive vor und beschreibt ihre Genese. Sie skizziert den Erfolg des neuen Ansatzes wie auch die kritischen Einwände und zeichnet die Rezeption und Diskussion nach. Da der inflationäre Gebrauch jedoch auch zu einer theoretisch-methodologischen Unschärfe geführt hat, befasst sie sich abschließend mit aktuellen Versuchen, das Nora'sche Konzept zu präzisieren und seine analytischen Potenziale auszubauen.
Aus der Veranstaltungsankündigung: „Im politischen Denken von Marx und Engels gibt es einen archimedischen Punkt: Es sind die verallgemeinernden Rückschlüsse, die die Begründer des „Wissenschaftlichen Sozialismus“ aus der Französischen Revolution von 1789 zogen. Wie tragfähig waren die von ihnen postulierten Analogien zwischen der bürgerlichen und der proletarischen Revolution? Welche praktischen Konsequenzen leiteten sie und später Lenin und die russischen Bolschewiki daraus ab? Was kann die revisionistische Marx-Kritik zum Verständnis des „Ausbleibens der Revolution in den Industriegesellschaften“ (Richard Löwenthal) und zum Wandel der Revolution im 20. Jahrhundert beitragen?"
Menschenrechte sind zur globalen Leitkategorie aufgestiegen. Die wissenschaftliche Erforschung der Geschichte der Internationalisierung von Rechtsansprüchen haben Historiker/innen erst vor einigen Jahren für sich entdeckt. Lasse Heerten skizziert in seinem Beitrag, dass Menschenrechte als ein semantisch äußerst offenes Vehikel unterschiedliche Ideen transportieren können und kritisch historisiert werden müssen. Zentral sind dabei Fragen nach Emergenz, ambivalenten Effekten und der Vielgestaltigkeit von Menschenrechten im Verlauf der Geschichte.
Version 2.0: In der römischen Republik bezeichnete die Diktatur (lat. dictatura) eine Institution des Staatsrechts: Der Senat verlieh einem Diktator in Zeiten des Notstands temporär außerordentliche Autorität, um die staatliche Ordnung zu verteidigen und wiederherzustellen. Diese klassische Bedeutung wurde im 20. Jahrhundert vielfach überformt; Diktatur wurde zu einem schillernden Begriff, dessen semantisches Feld sowohl positive Erwartungen als auch moralische Verdammung umfassen konnte.
Nach einem kurzen Überblick über die Forschung und einer Diskussion der Reichweite der dabei genutzten Begrifflichkeiten, soll die Entwicklung der Vernichtung der jüdischen Gewerbetätigkeit und die Reaktionen der jüdischen Gewerbetreibenden darauf am Beispiel Berlins dargestellt und dabei in den breiteren Kontext der Holocaust-Forschung eingeordnet werden. Für eine solche exemplarische Betrachtung scheint die Stadt nicht nur wegen der Größe der 1933 ansässigen jüdischen Gemeinde, sondern auch wegen des auf den ersten Blick paradoxen Umstands, dass sich dort – in politischem Sinne – Zentrum und Peripherie überlagerten, besonders gut geeignet.
Große Kulleraugen, traumhafte Saltkrokan-Ferien oder skrupellose Ausbeutung – Historikerinnen und Historiker, die sich mit Kindheit beschäftigen, treffen nicht selten auf zahlreiche Klischees. Nicht wenige davon haben wir liebgewonnen, und sie bestimmen unser Welt- und Wertebild entscheidend mit. Umso überraschender ist es für Studierende und Forscher/innen oft, wie komplex, differenziert und herausfordernd die historische Kindheitsforschung sich gestaltet.
Stadtgeschichte
(2016)
Das 20. Jahrhundert lässt sich als „urban century” begreifen. Doch besteht bei aller Forschungsdynamik nicht wirklich ein Konsens darüber, was das Feld jenseits seines Gegenstandsbezugs eigentlich zusammenhält. Warum sind Städte gerade in jüngster Zeit zu immer prominenteren Gegenständen der Forschung geworden? Malte Zierenberg stellt Definitionsansätze vor, die zu klären versuchen, was die Stadtgeschichte eigentlich ausmacht, beschreibt interdisziplinäre Einflüsse, die für die moderne Stadtgeschichtsschreibung von Beginn an wichtig waren, und gibt einen Überblick zu aktuellen Forschungsthemen und Begriffen.
Das politische und ökonomische System in Jugoslawien unter Josip Broz Tito hat für unterschiedliche Perioden verschiedene Bedeutungen gehabt und sich in Brüchen und Zäsuren alles andere als linear entwickelt. Hannes Grandits zeigt aber auch, dass es trotz aller Wandlungen Züge des jugoslawischen Sozialismus gab, die ab einer gewissen Zeit stabil blieben und den „Titoismus” ausmachten: „Arbeiterselbstverwaltung“ in der Wirtschaft, „Brüderlichkeit und Einheit“ in der Nationalitätenpolitik und „Blockfreiheit" in der Außenpolitik“.
Authentizität (Version 3.0)
(2015)
Jetzt in einer vollständig überarbeiteten und erweiterten Neuauflage Version 3.0: Achim Saupe zeigt in seinem Artikel den Aufstieg des neuzeitlichen Authentizitätsbegriffs, der eng mit der Geschichte des modernen Subjekts verknüpft ist, betrachtet ihn vor dem Hintergrund der Entwicklung der modernen Medien- und Konsumgesellschaft und stellt die Frage, wie sich das Politische zum Authentischen verhält. Schließlich wird in methodischer und thematischer Hinsicht die Authentizitätsproblematik in der historischen Forschung dargestellt.
(Version 3.0) Umweltgeschichte ist die Geschichte der Wechselbeziehungen zwischen Mensch und Natur – auf diesen kurzen und allgemeinen Nenner lassen sich die verschiedenen, mehr oder weniger konkreten Definitionsversuche dieses historischen Teilbereichs bringen. Dabei wird beiden Seiten dieses Wechselverhältnisses, sowohl dem Menschen als auch der Natur, ein eigener Stellenwert eingeräumt, auch wenn sie als unauflöslich verschränkt gedacht werden.
„Kulturtransfer wird verstanden als ein aktiv durch verschiedene Mittlergruppen betriebener Aneignungsprozess, der von den Bedürfnissen der Aufnahmekultur gesteuert wird.“ Als die beiden französischen Germanisten und Kulturhistoriker Michel Espagne und Michael Werner Mitte der 1980er-Jahre ihr Forschungsprogramm darlegten, war keineswegs abzusehen, dass dieser Vorschlag einen methodologischen Umbruch auslösen sollte. Matthias Middell zeichnet in seinem Beitrag die Rezeption und Weiterentwicklung der Kulturtransferforschung nach, beschreibt das Verhältnis zum Historischen Vergleich und fragt nach Verflechtungen in der Gegenwart sowie ihrer erst noch globalgeschichtlich zu konstruierenden Vergangenheit.
Zeitgeschichtliche Arbeiten neigen dazu, zunächst zeitgenössische Zuschreibungen zu übernehmen. Die ersten Zuordnungen, die einzelne Jahrzehnte erhalten, orientieren sich häufig an frühen sozialwissenschaftlichen Analysen, den Regierungserfolgen oder an Schlagworten der Zeit. Erst in einer zweiten Forschungsphase erfolgt oft eine Differenzierung. So galten die fünfziger Jahre bekanntlich zunächst als »Restauration«, wobei der Wahlslogan »keine Experimente« als Signum der Epoche herhielt, bis schließlich auch für dieses Jahrzehnt zahlreiche Aspekte der »Modernisierung« entdeckt wurden. Ebenso wurde für die sechziger Jahre mit zunehmender Forschung nicht nur das begrenzte gesellschaftliche Reformpotenzial der 68er herausgearbeitet, sondern auch Grenzen der zunächst postulierten gesellschaftlichen Liberalisierung (...)
Bis vor wenigen Jahrzehnten waren Kirchen noch der bevorzugte Ort kirchlicher Gemeindeversammlungen und der christliche Gottesdienst hatte in den Sakralbauten seine eigentliche Heimat. Insofern fiel »Kirche« im Sinne des Kirchengebäudes und »Kirche« im Sinne der christlichen Gemeinde noch in größerem Maße in eins als heute. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hat sich diese Identität von religiösem Ort und religiösem Ereignis zunehmend gelockert: Gottesdienste, religiöse Veranstaltungen fanden vermehrt auch außerhalb des Kirchenraums statt. Mitunter mieden sie geradezu den traditionellen Kirchenraum, um sich auf offenen Plätzen, in Messehallen oder Fußballstadien ein großes Publikum zu erschließen oder über die Medien in die breite Öffentlichkeit hinein zu wirken (...)
Die große Bedeutung von Vereinen scheint außer Frage zu stehen. Sie sind Träger der gesellschaftlichen Selbstorganisation, bilden Kommunikationsräume und bündeln Interessen. Sie bieten Geselligkeit, tradieren Deutungsmuster und stiften Identität. Wie sehr die bürgerliche Vereinswelt die gesellschaftliche, politische und nationale Formierung prägte, ist für das lange 19. Jahrhundert in vielfältigen Arbeiten gewürdigt und untersucht worden (...)
Dass Spielfilme über den Nationalsozialismus die Erinnerungskultur prägen, ist kaum zu bestreiten. Insbesondere die TV-Serie „Holocaust“ gilt als eine Zäsur, die zugleich zahlreiche neue Forschungen provozierte. Wie entwickelte sich die filmische Erinnerungskultur seit „Holocoust“ bis heute? Und in welcher Beziehung standen diese Filme zur Geschichtswissenschaft? (...)
Korruption ist eine flüchtige Praxis, die sich in der Regel dem Zugriff des Historikers entzieht. Prinzipiell sind korrupte Handlungen für alle Epochen und Kulturkreise anzunehmen. Zugleich variierten ihr Stellenwert und ihre Bedeutung temporär und topographisch. Eine historische Beschäftigung mit dem Phänomen Korruption verspricht deshalb Erkenntnisse über das Selbstverständnis und die Funktionsweisen einer Gesellschaft. Die jeweilige Wahrnehmung und Praxis der Korruption muß sich dabei nicht decken. Vielmehr kann gerade eine intensive Auseinandersetzung mit Bestechungen mit einer seltenen Anwendung einhergehen und umgekehrt eine routinisierte Korruption mit ausbleibenden Debatten (...)
Die Ausstrahlung der Fernsehserie Holocaust (USA 1978) gilt als eine der wichtigsten Zäsuren in der westlichen Erinnerungskultur. Sowohl in den USA und in Westeuropa als auch in verschiedenen anderen Teilen der Welt erreichte die Serie, dass sich ein Großteil der Bevölkerung mit der Shoah auseinandersetzte, was die „Erinnerung im globalen Zeitalter“ maßgeblich förderte. Bekanntlich führte die Serie nicht nur zu einer emotionalen Vergegenwärtigung der Massenmorde, sondern auch zu einer intensiven Anschlusskommunikation über den Holocaust, die sich in anderen Medienformaten fortsetzte. Zudem setzte, wie Moshe Zimmermann argumentiert, erst mit der Fernsehserie die „Amerikanisierung des Holocaust“ und eine transnationale Form der Erinnerung ein (...)
In der Geschichtswissenschaft wurde in den letzten Jahren häufiger für eine transnationale Perspektive geworben. Diese soll die bislang eher national orientierte Geschichtsschreibung erweitern, indem Interaktionen, wechselseitige Wahrnehmungen und Transfers zwischen Ländern und Kulturen berücksichtigt werden. Bislang sind entsprechend konzipierte Studien jedoch noch rar, wenngleich viele Projekte in Arbeit sind. Zudem fällt eine gewisse Schwerpunktbildung auf: Epochal konzentrieren sie sich meist auf das ausgehende 19. Jahrhundert und die 1960/70er Jahre, thematisch auf einzelne Themen wie den Kolonialismus, die Migration, Wirtschaft, Wissenschaft oder soziale Netzwerke. Damit blieben viele klassische Bereiche der Zeitgeschichtsforschung eher ausgespart - wie der Nationalsozialismus (...)
Die Jahrzehnte »nach dem Boom«, also nach der ökonomischen Krise von 1973, erscheinen in historischen Darstellungen häufig wie eine Phase der Stagnation. Für viele Bereiche gilt dies freilich nicht. In der westdeutschen Werbewirtschaft etwa stiegen bereits in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre allein in der Tagespresse die Umsätze um 50 % auf gut fünf Milliarden DM (...)