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Das Ende der britischen Kolonialherrschaft in Indien 1947 zerteilte das Land nicht nur, sondern verursachte auch (jahrzehntelange) Migrationsbewegungen. In den Ostteil des neu gegründeten Pakistans migrierten urdusprachige Muslime, die der banglasprachigen Mehrheitsgesellschaft trotz gemeinsamer Religionszugehörigkeit überwiegend fremd gegenüberstanden. Als die Spannungen zwischen den ungleichen pakistanischen Landesteilen im Kampf um die Unabhängigkeit Ostpakistans eskalierten und daraus 1971 der neue Staat Bangladesch entstand, galten die Urdusprachigen als »Volksverräter« und verloren ihre Staatsbürgerschaft. Zum Teil bis heute leben sie mit ihren Nachkommen in mehr als 100 Flüchtlingscamps innerhalb des Landes. Der seit über 40 Jahren andauernde Wartezustand dieser Gruppe führt zu unterschiedlichen Strategien und Konflikten. Geschlecht, Bildung und besonders das Alter entscheiden über das Selbstverständnis der Campbewohner: Während sich die ältere Generation weiterhin für eine Repatriierung nach Pakistan einsetzt, fordern die Jüngeren verstärkt die bangladeschische Staatsbürgerschaft, die 2008 vom Obersten Gerichtshof des Landes formal anerkannt wurde. Dazwischen steht eine große Zahl Unentschlossener, die sich mit den Camps arrangiert hat. Der Aufsatz zeigt, dass weder Staatsangehörigkeit noch Staatenlosigkeit festgefügte Identitäten sind; Flüchtlingscamps sind zugleich Orte des Transits, der Vergemeinschaftung und der Stigmatisierung. Der praxeologische Ansatz des Diasporakonzepts bietet Zugang zu der perpetuierten migrantischen Situation der Urdusprachigen.
Während des Zweiten Weltkrieges flüchteten etwa 150.000 Europäer vor Krieg und Besatzung nach Großbritannien. Unter ihnen waren Angehörige der vormaligen europäischen Regierungen, Verwaltungen, politischen Eliten, Militärs und Königshäuser. Aus ihren Reihen bildeten sich Nationalkomitees und Exilregierungen, die die nationale Souveränität ihrer Länder trotz deutscher Besatzung aufrechterhalten und als Alliierte für einen gemeinsamen Sieg über Hitler eintreten wollten. Im Zentrum Londons lebten und arbeiteten sie in enger Nachbarschaft. Rechtlich betrachtet erreichten die Mitglieder der Exilregierungen London meist als individuelle Flüchtlinge; sie verließen die Stadt überwiegend als Angehörige anerkannter Regierungen. Eine genauere Untersuchung des »London Moment«, dieser formativen Phase europäischer Politik, bricht den vermeintlichen Gegensatz zwischen Macht und Ohnmacht auf und trägt so zur Reflexion über Flucht und Flüchtende bei. Der Aufsatz erläutert die Entwicklung des rechtlichen Status der Exilanten und folgt vier Fallbeispielen von der Ankunft zur Etablierung in London.
Dieser Beitrag geht der Frage nach, wie Migration durch Statistik sozial relevant wird. Welche Kategorien kommen dabei zum Einsatz? Zuerst wird die historische und wissenssoziologische Perspektive erläutert. Im zweiten und dritten Teil werden historische Umbrüche in der Kategorisierung von Migration am Beispiel der amtlichen Statistik im Deutschen Kaiserreich und in der Bundesrepublik Deutschland skizziert. Der Fokus verschob sich von Migration als Ein- und Ausreisebewegung zu Migration als Alteritätszuschreibung (gestützt auf die Kategorie »Migrationshintergrund« ab 2005). Vor diesem Hintergrund wird im letzten Teil gezeigt, wie sich vergangene und aktuelle Kategorisierungen von Geflüchteten mit der Migrations- und Integrationssemantik verbanden bzw. verbinden. Über die Rekonstruktion der semantischen Brüche und Kontinuitäten hinaus dient die historische Kontextualisierung dem Ziel, heute gängige Kategorien für Migration und Flucht besser reflektieren zu können, die in der Wissenschaft, Politik und Verwaltung verwendet werden.
Umkämpfte Interaktionen. Flucht als Handlungszusammenhang in asymmetrischen Machtverhältnissen
(2018)
Seit 2015 macht sich eine Vielzahl von Männern, Frauen und Kindern in Italien auf den Weg, um die Alpen zu Fuß in Richtung Frankreich zu überqueren. Dazu reisen sie in der Regel über Turin mit dem Zug in das italienische Bardonecchia, warten dort den Einbruch der Dunkelheit ab und brechen anschließend zum Marsch über die Berge auf. Meist handelt es sich um Menschen aus Afrika, die bereits viele Wochen, wenn nicht Monate unterwegs sind und anders, als es die sogenannte Dublin-Verordnung vorschreibt, nicht in ihrem Ersteinreiseland Italien, sondern in Frankreich oder anderswo Fuß fassen bzw. Asyl beantragen wollen. Den strapaziösen und risikoreichen Weg über die Berge nehmen sie nicht zuletzt deshalb auf sich, weil sie der französischen Grenzpolizei (Police aux frontières, PAF) entgehen wollen, die seit den Terroranschlägen vom 13. November 2015 in Paris und St. Denis die französischen Staatsgrenzen erneut kontrolliert.
Gedenkstätten
(2018)
An einem historischen Ort staatlicher, terroristischer oder katastrophenbedingter Gewalt erfüllen Gedenkstätten mit ihren materiellen Hinterlassenschaften eine Vielfalt an Aufgaben, womit sie zu mehrschichtigen, multifunktionalen und polyvalenten Einrichtungen des Trauerns, Gedenkens, Erhaltens, Sammelns, Forschens und Vermittelns werden. In diesem Sinne begreift Habbo Knoch Gedenkstätten als kulturelle Artefakte, die sowohl Überreste historischer Geschehnisse beinhalten als auch mehrdeutige Manifestationen politischer und gesellschaftlicher Diskurse verkörpern – und analysiert sie als „Palimpseste“ geschichtspolitischer und erinnerungskultureller Prozesse.
Jugendorganisationen
(2018)
Hitlerjugend, Komsomol, Boy Scouts – keine Großerzählung zum 20. Jahrhundert kommt ohne diese millionenstarken Jugendverbände aus. Für die einen bedeuten Jugendorganisationen Spiel, Spaß und Abenteuer, für die anderen straffe Hierarchien und politische Indoktrination. Ungeachtet dieser Stereotypen ist es der historischen Forschung gelungen, ein differenziertes Bild dieser pädagogischen Innovation zu zeichnen. Der Beitrag stellt die wichtigsten Etappen der Forschungsdiskussion vor und zeigt, welchen Erkenntnisgewinn die Beschäftigung mit Jugendorganisationen für zentrale Arbeitsfelder der Zeitgeschichte haben kann.
Von der Lügenpresse zur Lügenwissenschaft? Zur Relevanz der Zeitgeschichte als Wissenschaft heute
(2018)
Der hier publizierte Festvortrag über die gegenwärtige Relevanz und Zukunft der Zeitgeschichte wurde im Rahmen der Festveranstaltung anlässlich des 25-jährigen Bestehens des Zentrums für Zeithistorische Forschung in Potsdam (ZZF) am Donnerstag 12. Oktober 2017 von Andreas Wirsching gehalten. Das ZZF Potsdam nahm das Jubiläum zum Anlass, um den geschichtswissenschaftlichen Umbruch der 1990er Jahre genauer zu beleuchten. In einem öffentlichen Kolloquium wurden die turbulenten Anfangsjahre des ZZF und die damaligen Transformationen in der Geschichtswissenschaft diskutiert. In der Abendveranstaltung standen schließlich die gegenwärtigen Herausforderungen der Zeitgeschichtsforschung und ihre Zukunft im Mittelpunkt.
Der Völkermord an den Ovaherero und Nama gehört seit einigen Jahren zu den großen geschichtspolitischen Themen der Bundesrepublik und findet aktuell auch international eine bis dato ungekannte Aufmerksamkeit. Hintergrund hierfür ist die Klage der Ovaherero und Nama, die im Januar 2017 am Bundesbezirksgericht in New York eingereicht wurde. Dabei handelt es sich um eine Sammelklage gegen die Bundesregierung, mit der die KlägerInnen Entschädigung für den Genozid und den Verlust von Eigentum erwirken wollen. Die geforderte Entschädigung wird in der Klageschrift nicht näher spezifiziert, vielmehr sollen Form und Umfang im Verfahren geklärt werden. Der Prozess hat noch nicht begonnen. Bislang scheiterte das Verfahren bereits daran, die Zulässigkeit der Klage zu prüfen. Am 25. Januar 2018 vertagte das zuständige Bundesbezirksgericht in New York diese Prüfung nach wenigen Minuten erneut, da sich der Anwalt der Bundesregierung mehr Vorbereitungszeit erbat.
„Tarkan“, der „hunntürkische” Krieger, der zur Herrschaftszeit Attilas im Hunnenreich lebt, nur mit einem Wolf an seiner Seite gegen Ost- und Weströmer, Wikinger und Chinesen kämpft, zudem als freiwilliger Botschafter des Hunnenkönigs die Verständigung zwischen den verschiedenen Völkern im Reich vermittelt, wurde gegen Ende der 1960er Jahre vom türkischen Comickünstler Sezgin Burak erschaffen. In der Türkei feierte seine nach ihrem Protagonisten benannte Abenteuercomicserie einen multimedialen Sensationserfolg. Der fiktive Comicheld „Tarkan“ wurde in gewisser Weise wie ein Volksidol verehrt und avancierte sogar zum beliebten türkischen Vornamen. Dagegen wurden die ab dem Jahr 1973 im Ausland herausgegebenen fremdsprachigen Heftreihen vorzeitig eingestellt, in Deutschland sogar dauerindiziert.Der vorliegende Aufsatz fragt nach den Gründen für diesen diametralen Erfolgsunterschied und der Rolle der Geschichte dabei.
Andree Kaiser (*1964) was trained as a photographer in Pankow, a district in East Berlin. He served a prison sentence in various detention centers of the State Security Service, commonly known as the Stasi, for his attempt to flee German Democratic Republic (DDR). Kaiser got out in 1986 as part of a prisoner release. He started his photojournalism career at Reuters in 1988 and afterward joined several agencies, which resulted in several assignments with travels to eastern European countries. Between 1991 and 1993 he conducted several reportages in Bosnia, Croatia, and Serbia for Newsday (New York). His photos following the breakout of the war in former Yugoslavia had been featured in international exhibitions: “Faces of Sorrow: Agony in the Former Yugoslavia” at the US Holocaust Memorial Museum, “Crimes of War” at the International Criminal Tribunal (The Hague), “Yougoslavie: Déchirures” at SIPA Press in Paris. Decades after the Bosnian War, the US Holocaust Memorial Museum hosted Andree Kaiser’s pictures coming from Syria. He went to Azaz, Bab al-Hawa, Asseharia to witness with his camera another war tragedy and another spectacle of horror.
Bilder aus Afghanistan und dem dort seit Jahren herrschenden Krieg sind nahezu allgegenwärtig im öffentlichen und wissenschaftlichen Diskurs. Doch unterscheiden sich diese Bilder stark von den privaten Fotografien meines Vaters, der seit über 30 Jahren Bundeswehrsoldat ist und im Rahmen des NATO-Einsatzes International Security Assistance Force (ISAF) bisher fünf Mal an verschiedenen Standorten in Afghanistan für jeweils mehrere Monate eingesetzt war. Durch ihn konnte ich Kontakt zu seinen Kolleg*innen herstellen, und schließlich wurden mir 7159 private Fotografien von drei Bundeswehrsoldat*innen für mein Forschungsprojekt zur Verfügung gestellt.
Heimat (english version)
(2018)
The concept of Heimat can be used in conjunction with many phenomena and sometimes seems to have a precise definition. The very vagueness of the concept bespeaks its emotional aspect, one that makes it rather appealing for a wide range of marketing and propaganda purposes. Heimat denotes a local identification that is not exclusive of other identifications, whether regional, national or transnational institutions, ideologies or religious communities. The Article will address the concept and its varied meanings and it will also examine the fundamental relationship between individuals with respect to their social and geographic spaces.
»Im Zentrum dieser Untersuchung stehen Verhaltensweisen, die man als typisch für die abendländisch zivilisierten Menschen ansieht. Die Frage, die sie uns aufgeben, ist einfach genug. Die Menschen des Abendlandes haben sich nicht von jeher in der Weise verhalten, die wir heute als typisch für sie und als Kennzeichen des ›zivilisierten‹ Menschen anzusehen pflegen. […] Wie ging eigentlich diese Veränderung, diese ›Zivilisation‹ im Abendlande vor sich? Worin bestand sie? Und welches waren ihre Antriebe, ihre Ursachen oder Motoren?« (Bd. 1, S. LXXI-LXXII) So beginnt Norbert Elias’ 1939 erstmals veröffentlichte Arbeit »Über den Prozeß der Zivilisation«. Bis heute zählt sie zu den am meisten rezipierten Studien, die die deutschsprachige Soziologie je hervorgebracht hat. Während die Erstveröffentlichung – bedingt nicht zuletzt durch die politische Situation in Europa – kaum Beachtung fand, begann mit der ersten Taschenbuchausgabe von 1976 eine Debatte, die das Werk nicht nur über die Grenzen der Soziologie hinaus, sondern auch jenseits des Elfenbeinturms der Wissenschaften bekannt gemacht hat. Sucht man nach den Gründen für die anhaltende Popularität und Strahlkraft des Werks, lassen sich zwei Motive identifizieren. Zunächst ist zu konstatieren, dass Elias auf die von ihm gestellten Fragen eine empirisch gesättigte, theoretisch innovative und methodologisch anregende Antwort entwickelte. Ein Grund liegt also zweifellos in der wissenschaftlichen Originalität des Werks. Ausschlaggebend für den langfristigen Erfolg des Buches auch außerhalb der Soziologie und sogar außerhalb der Wissenschaft scheint jedoch ein zweiter Grund zu sein: Die Studie liefert eine historisch-soziologische Fundierung eines zentralen Elements der Selbstbeschreibung moderner Gesellschaften, indem sie die Vorstellung einer zunehmenden Gewaltlosigkeit der Moderne stützt. Während es sich beim ersten Grund um einen im engeren Sinne wissenschaftlichen handelt, stellt der zweite das Werk in den Horizont moderner Selbstbefragungs- und Selbstvergewisserungsdiskurse.
Im Schatten der Geschichte. Die (vergessene) »Gewaltkommission« der Bundesregierung (1987–1990)
(2018)
Im Februar 2016 fand in der Alice Salomon Hochschule Berlin ein Symposion statt zum Thema »25 Jahre Gewaltprävention im vereinten Deutschland – Bestandsaufnahme und Perspektiven«, das von den Veranstaltern Stephan Voß und Erich Marks auf über 1.000 Seiten dokumentiert worden ist. Das Symposion hat gezeigt, dass der Gedanke der Gewaltprävention sich mittlerweile hochprofessionell auf zahllose Kontexte ausdifferenziert hat, in denen Menschen leben und handeln. »25 Jahre Gewaltprävention«, dieser Titel deutet auf den Januar 1990 hin, als der einstimmig verabschiedete Endbericht der »Unabhängigen Regierungskommission zur Verhinderung und Bekämpfung von Gewalt« nach zweijähriger Arbeit dem damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl übergeben wurde. Doch weder die fachliche Arbeit in der Kommission noch die Bereitschaft der politischen Akteure zur stärkeren Berücksichtigung wissenschaftlicher Erkenntnisse bei politischen Entscheidungen konnten verhindern, dass der eigentliche Anlass für die Einsetzung der Kommission in dem vorgelegten Bericht nur noch eine untergeordnete Rolle spielte. Durch die aktuelle politische Agenda des Jahres 1990 gerieten die Empfehlungen weitgehend aus dem Blick. Im Abstand von fast 30 Jahren lohnt es sich, den Kommissionsbericht als Quelle der bundesdeutschen Gewaltgeschichte und der Bemühungen um eine Verminderung von Gewalt zu lesen. Dies geschieht im Folgenden aus soziologischer Perspektive, jedoch in der Hoffnung, auch der Geschichtswissenschaft Impulse zur Beschäftigung mit solchen Dokumenten zu geben.
Friedensforschung und Gewalt. Zwischen entgrenzter Gewaltanalyse und epistemischer Gewaltblindheit
(2018)
In der Gegenwart werden geradezu eruptiv und medial befeuert »alte« Gewaltphänomene zu Tage gefördert: Die Kampagne »#MeToo« lässt ein soziales Gewaltproblem sichtbar werden, welches lange Jahre ahnungsvoll präsent war, ohne im Detail öffentlich-politisch oder auch durch die Friedensforschung angemessen adressiert worden zu sein. Gleichzeitig drohen die Machthaber von Atomwaffenstaaten unverblümt mit dem Einsatz von Nuklearwaffen, während weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit autonome Waffensysteme entwickelt werden, die gar nicht mehr auf eine/n Gewalttäter*in angewiesen sind, sondern allein aufgrund von dafür entwickelten Algorithmen Gewalt anwenden und Menschen töten. Bei einem derart entgrenzten Gewaltverständnis hat die Friedensforschung alle Hände voll zu tun, die unterschiedlichen Gewaltphänomene der Gegenwart im Blick zu behalten, über deren Entstehungsbedingungen aufzuklären und Ansätze zu ihrer Eingrenzung oder Überwindung zu entwickeln. Doch verdeutlichen die genannten Beispiele, dass auch die Friedensforschung nicht ohne weiteres aus den »Denkcontainern« der jeweiligen Gegenwart aussteigen kann und deshalb nicht vor epistemischer Gewaltblindheit, der wissenschaftlichen Unaufmerksamkeit für gesellschaftlich bedeutsame Gewalterfahrungen, gefeit ist. Wie bearbeitet die Friedensforschung das Spannungsverhältnis zwischen entgrenzter Gewaltanalyse einerseits und epistemischer Gewaltblindheit andererseits? Welche Rolle spielt dabei ihre Abhängigkeit von staatlicher finanzieller Förderung? Welche Gewaltverhältnisse werden aus welchen Motiven untersucht – und welche nicht? Ein Blick in die Geschichte der bundesdeutschen Friedensforschung kann hier erhellend wirken.
Im deutschen Erinnern an »1945« hat sich das Bild vom Wehrmachtssoldaten eingeprägt, der das Maschinengewehr, mit dem er gerade noch geschossen hat, wegwirft und dann mit erhobenen Händen aus den Trümmern einer Häuserreihe auf die Straße tritt. Die Geste steht für einen Akt der unmittelbaren Gewaltabsage; sie visualisiert die Kapitulation. Zu den international populären Bildern vom Kriegsende 1945 zählen auch das inszenierte Hissen der Flagge auf Iwo Jima oder auf dem Reichstag, die scheinbar endlosen Flächen zerstörter und stiller Städte sowie die Bilder aus den befreiten Konzentrationslagern, deren Leichenberge und Überlebende ein Gewaltsystem zeigten, das erst mit vollständiger Niederlage des Deutschen Reichs zum Stillstand kam.
Gewalt in der Erziehung ist eine zentrale Untersuchungsebene, will man die Gewaltpotentiale einer Gesellschaft ergründen. Der Aufsatz beleuchtet zunächst die Bemühungen zur historischen Aufarbeitung der Missstände und Missbrauchstatbestände in der bundesdeutschen Heimerziehung: Welche Gewaltpraktiken waren hier anzutreffen, welche Erklärungsmuster wurden entwickelt, und welche Wandlungen sind seit den 1970er-Jahren eingetreten? Wer die Heimerziehung unter dem Gesichtspunkt der Gewaltabkehr beleuchten will, muss besonders auf die Nachfolgejahrzehnte schauen, in denen die Hilfen zur Erziehung grundlegend reformiert worden sind. Ein Blick auf die familiale Erziehungspraxis zeigt sodann, dass die Heimerziehung in puncto Gewalterfahrungen kein Sonderverhältnis darstellte. Während durch institutionelles und normatives Gegensteuern seit den 1970er-Jahren versucht wurde, der Gewalt in der Heimerziehung den Nährboden zu entziehen, bedurfte es für eine Abkehr von familialen Gewaltpraktiken in der Mehrheitsgesellschaft eines sehr viel längeren Wandlungsprozesses. Er ist in Deutschland auch mit der gesetzlichen Ächtung der körperlichen Züchtigung im Jahr 2000 noch nicht abgeschlossen.
Jenseits von Brutalisierung oder Zivilisierung. Schule und Gewalt in der Bundesrepublik (1970–2000)
(2018)
Gewalt an Schulen wird regelmäßig skandalisiert und erscheint oftmals als Symptom einer allgemeinen Verrohung von Gesellschaft. Demgegenüber haben viele Historiker/innen gerade die Schule in das Zentrum einer Zivilisierungsgeschichte der westdeutschen Gesellschaft seit 1945 gestellt. Der Beitrag nimmt diesen Deutungswiderspruch zum Ausgangspunkt einer Analyse schulischer Gewalt zwischen den frühen 1970er-Jahren und der Jahrtausendwende. Vorgeschlagen wird eine neue Lesart, die den Gegensatz der konkurrierenden Thesen von Gewaltzunahme und Gewaltabnahme aufhebt und stattdessen die sich wandelnden Vorstellungen dessen untersucht, was »Gewalt« eigentlich sei und wie sie überwunden werden könne. Seit den 1970er-Jahren mehrten sich die Arten von Gewalt, die mit Schule in Verbindung gebracht wurden. Eine Sensibilisierung gegenüber sehr unterschiedlichen Gewaltphänomenen war verbunden mit neuen Ansprüchen an Schule und schulische Kommunikation – Erwartungen, die von Lehrer/innen und Eltern als Fortschritt erfahren werden konnten, aber auch als Zumutung und Überforderung.
(Version 2.0, siehe auch Version 1.0) The field of Migration History looks at both ends of human mobility and the complex and diverse processes of migration. In her article Barbara Lüthi defines human migration, which can be either international or internal, and gives a short overview of the history of migration in the 20th century. After a discussion of the approaches and perspectives on the research field Lüthi closes with an examination of the current topics in Migration History: refugees and so-called illegal migrants.
Die "Arbeiterverbrüderung" war eine unter maßgeblicher Federführung des Buchdruckers Stephan Born und des Goldschmieds Ludwig Bisky im Hochsommer des europäischen Revolutionsjahres 1848 ins Leben gerufene Mischung aus Gewerkschaft und früher Arbeiterpartei. Förmlich gegründet wurde die Arbeiterverbrüderung von insgesamt 34 stimmberechtigten und fünf beratenden Delegierten während eines dem Anspruch nach nationalen, tatsächlich jedoch in erster Linie norddeutschen Kongresses, der vom 23. August bis zum 3. September 1848 in den Räumlichkeiten des Berliner Handwerkervereins tagte. Zweck und Ziel dieses Kongresses war es, die im Frühjahr und Sommer 1848 in zahlreichen deutschen Städten entstandenen Ansätze berufsübergreifender, quasi gewerkschaftlicher Arbeiterorganisationen zusammenzufassen und gleichzeitig den Forderungen der in den deutschen Staaten noch schwachen sozialistischen Bewegung einen möglichst repräsentativen Ausdruck zu verleihen.