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Critical Ability History. Für eine Zeitgeschichte der Fähigkeitsnormen

  • »I Have Diabetes. Am I to Blame?«, fragte Rivers Solomon im Oktober 2016 in der »New York Times«. Der Artikel war von der Redaktion mit »Disability« getaggt worden, und in ihm verschränkten sich die Beschreibungen von erlebten und zugewiesenen körperlichen und mentalen Defiziten. Solomon war 26 Jahre alt, Afroamerikanerin, dick. Sie kritisierte, dass ihre Krankheit anderen deshalb als selbstverschuldet gelte, als Resultat von mangelndem Wissen und Willen. Ein knappes Jahrhundert zuvor wäre Solomons Erkrankung anders verstanden worden, folgt man Arleen Marcia Tuchmans 2020 veröffentlichter Geschichte von Diabetes in den USA. Tuchman zeigt, dass die Krankheit zwar schon am Beginn des 20. Jahrhunderts zu einer Folge von übermäßigem Essen und mangelnder Bewegung erklärt, gleichzeitig aber mit spezifischen Befähigungen in Verbindung gebracht wurde. Diabetes galt als typische Krankheit der Erfolgreichen und Modernen. 1936 beschrieb ein Artikel im Magazin »Collier’s« Diabetiker*innen als »bessere Bürger«, die besonders selbstständig und intelligent sein mussten, um ihre Krankheit managen und mit ihr überleben zu können. Galten Afroamerikaner*innen noch zu diesem Zeitpunkt als kaum anfällig für Diabetes (weil sie nicht für »zivilisiert« genug gehalten wurden), wurden sie in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts zu typischen Diabetes-Patienten. Die Krankheit wandelte sich zum Zeichen von Verantwortungslosigkeit und ungesundem Lebensstil. Das Beispiel zeigt, wie historische Phänomene von unterschiedlichen Fähigkeitsnormen durchzogen sind. Im Vordergrund meiner Skizze steht dabei nicht der behinderte oder von Behinderung »bedrohte« Körper. Vielmehr interessiere ich mich für die Geschichte der Normen und Prämissen »fähiger« Körper und Subjekte, die bestimmten Menschen bzw. Menschengruppen zu- oder abgesprochen werden. Die ganz knappe Historisierung von Diabetes steht exemplarisch für den Blickwechsel, der sich mit einer Critical Ability History vornehmen lässt.

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Verfasserangaben:Nina MackertORCiDGND
URL:https://zeithistorische-forschungen.de/2-2022/6053
DOI:https://doi.org/10.14765/zzf.dok-2434
Titel des übergeordneten Werkes (Deutsch):Zeithistorische Forschungen – Studies in Contemporary History
Verlag:ZZF – Centre for Contemporary History: Zeithistorische Forschungen
Verlagsort:Potsdam
Dokumentart:Wissenschaftlicher Artikel (Zeitschrift)
Sprache:Deutsch
Datum der Veröffentlichung (online):20.12.2022
Datum der Erstveröffentlichung:20.12.2022
Datum der Freischaltung:20.12.2022
Jahrgang:19
Ausgabe / Heft:2
Erste Seite:341
Letzte Seite:354
ZZF-Themenklassifikation:Geschlecht
Soziales
Körper
Begriffe
Gender Studies
Klassen
Soziale Bewegungen
Protest
Sozialstruktur
Wissenschaft
Wissen
ZZF-Zeitklassifikation:ohne epochalen Schwerpunkt
ZZF-Regionalklassifikation:ohne regionalen Schwerpunkt
Online-Portale:Zeithistorische Forschungen
Zeithistorische Forschungen: Originalbeiträge:2 / 2022 Disability History
Lizenz (Englisch):License LogoCreative Commons - Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 International (CC BY-SA 4.0)